Wo die Grenze zwischen Journalismus und Content Marketing verläuft oder gezogen werden sollte, wird immer undurchsichtiger. Im 10. Jahr seines Bestehens greift der PR-Ethik-Rat diese Thematik auf. Er präsentiert seinen ersten Leitfaden für Content-Marketing-Produkte sowie die Überarbeitung des Online-Kodex. Medienkonsumenten sollen damit besser zwischen redaktionellen und werblichen Inhalten in Print-, Online- und AV-Medien unterscheiden können. Der Branche stellt der PR-Ethik-Rat damit eine Orientierungshilfe für den ethisch korrekten Umgang mit Content Marketing zur Verfügung.
Seit der Veröffentlichung des 2017 international ratifizierten Online-Kodex ist eine Zunahme der Beschwerden zu Online-Kommunikation zu bemerken. Im Jubiläumsjahr erschließt der PR-Ethik-Rat mit Content Marketing ein weiteres, bislang ungeregeltes, Betätigungsfeld der Kommunikationsbranche. Seit seiner Gründung im Jahr 2008 setzt sich das Selbstkontrollorgan der PR-Branche für mehr Transparenz in der professionellen Medien- und Kommunikationsarbeit ein.
Dr. Sabine Einwiller, Vorsitzende des PR-Ethik-Rats und Professorin an der Universität Wien:
Content Marketing nutzt Mittel des Journalismus, um kommerzielle Ziele zu erreichen. Problematisch daran ist, dass MedienkonsumentInnen die kommerzielle Absicht des Absenders von Content Marketing oft nicht erkennen können. Der ethische Grundsatz der Transparenz ist dadurch verletzt. Außerdem gefährdet die Vermischung von redaktionellen und Content-Marketing-Inhalten die Glaubwürdigkeit des unabhängigen Journalismus. Es ist daher sicherzustellen, dass durchschnittliche MedienkonsumentInnen auf den ersten Blick erkennen können, wenn es sich um Auftragskommunikation handelt; ebenso muss erkennbar sein, wer der Auftraggeber ist.
Peter Kleemann, stellvertretender Vorsitzender des PR-Ethik-Rats und Pressesprecher der Flughafen Wien AG, stellt fest:
Fake News, Framing und paid/unpaid Content: Gerade im Online-Bereich werden häufig werbliche Inhalte, subjektive Meinungen oder unrecherchierte Behauptungen als objektive redaktionelle Berichterstattung dargestellt, ohne dass das für Medienkonsumenten überprüfbar ist. Das ist eine fragwürdige Entwicklung, die die Meinungen, vor allem der jüngeren Generation, beeinflusst. Nicht nur rechtliche Bestimmungen, sondern vor allem ein medienethisches Verantwortungsbewusstsein der Kommunikationstreibenden sind notwendig, um sicherzustellen, dass Informationen richtig eingeordnet werden können.
Content Marketing – Das Gebot der Transparenz gilt mehr denn je
Unternehmen, Organisationen und ihre PR-Dienstleister produzieren immer mehr Content selbst – sogar ganze Medien. Sie dringen damit immer weiter in die Domäne des Journalismus und der Medien ein. Doch um mit der Eigenproduktion von Agenda-Medien und der Verbreitung von Content-Marketing-Inhalten nicht nur kurzfristigen Nutzen zu erzielen, der langfristig bedeutende Probleme erzeugt, braucht es klare ethische Grundsätze. Nach dem Digitalkodex ist der PR-Ethik-Rat abermals am Puls der Zeit und hat einen Einordnungsrah- men entwickelt, an dem sich Kommunikationsverantwortliche orientieren können – um auch in diesem Bereich alles richtig zu machen; und sauber zu arbeiten.
Content Marketing – Merkmale und Problematik
Der Siegeszug des Content Marketing ist dadurch ausgelöst, dass Menschen gegenüber klassischen Werbeformaten und -botschaften weitgehend resistent geworden sind oder Adblocker verwenden, um Werbebotschaften auszublenden. Auch haben Menschen ein gutes Persuasionswissen entwickelt, was klassische Werbung angeht. Das heißt, sie können klassische Werbung sofort als solche erkennen und wissen, wie sie diese einschätzen und damit umgehen wollen.
Beim Content Marketing geht es nun darum, mit redaktionellen Mitteln „um die Produkte herum zu reden“. Die Zielgruppen werden mit Inhalten angesprochen, die journalistisch anmuten und einen Mehrwert bieten sollen. Hierfür werden organisationseigene Medien entwickelt oder es wird Platz in Fremdmedien gekauft, wobei der Content so an das (redaktionelle) Umfeld angepasst wird, dass er sich möglichst unauffällig („native“) einfügt. Die Ziele des Content Marketing reichen dabei von Aufmerksammachen auf Themen, Präferenzbildung, über Imagepflege und Kundenbindung bis hin zum Auslösen von Kaufimpulsen.
Auch wenn Content Marketing mit journalistischen Methoden arbeitet, so reduziert sich das journalistische Selbstverständnis auf die äußere Form; bedeutende Merkmale des Journalismus wie Autonomie, Bemühen um Objektivität und Wahrnehmen einer Korrektivfunktion bleiben weitgehend unberücksichtigt. Im Gegensatz zum Journalismus, wo das Medium der Selbstzweck ist, ist das Medium beim Content Marketing nur Mittel zum Zweck.
Die Problematik liegt nun darin, dass die RezipientInnen die persuasive Absicht des Absenders von Content Marketing deutlich weniger klar erkennen als es bei klassischer Werbung der Fall ist; dies ist durch wissenschaftliche Studien mehrfach belegt.1 Tatsächlich ist die Verschleierung der Persuasionsabsicht vom Absender oftmals intendiert, da angenommen wird, dass dadurch die Glaubwürdigkeit der Botschaft steigt. Der PR-Ethik-Rat sieht dadurch den Grundsatz der Transparenz gefährdet.
Eine weitere Problematik entsteht dadurch, dass die Vermischung von redaktionellen und Content Marketing Inhalten langfristig die Glaubwürdigkeit des unabhängigen Journalismus gefährdet. Denn wenn sich MedienkonsumentInnen nicht mehr sicher sein können, ob sie unabhängige Berichterstattung oder durch eine Organisationsagenda geleitete Überzeugungskommunikation rezipieren, unterminiert dies das Vertrauen in journalistische Medien.
Typologisierung der Medien – ein Einordnungsrahmen
Der PR-Ethik-Rat hat eine Typologisierung von Medien entwickelt, die Kommunikationsverantwortlichen helfen soll, ihre Medien einzuordnen und korrekt zu kennzeichnen. Um die Einordnung vorzunehmen, haben sich Kommunikationsverantwortliche die Frage zu stellen, welchen Anspruch der Auftraggeber an das Medium hat, d. h. welcher Agenda dieses folgt. Wenn ein Medium überwiegend der Erreichung eines Zwecks dient und im Zweifel eher im Sinne des Auftraggebers agiert als im Sinne der Allgemeinheit, gilt dieses als Agenda-Medium. Falls der organisationseigene Content in ein Fremdmedium integriert ist, wie es bei „Native Advertising“ oder „Influencer Marketing“ der Fall ist, handelt es sich um Agenda-Content.
Grundsätzlich gilt bei Agenda-Medien und Agenda-Content – wie sonst auch in der PR – das Gebot der Absender-Transparenz. Daher müssen sich Kommunikationsverantwortliche im nächsten Schritt die Frage nach der Wahrnehmung des Mediums/Contents durch die RezipientInnen stellen. Das heißt, es muss sichergestellt sein, dass für durchschnittliche RezipientInnen auf den ersten Blick wahrnehmbar ist, dass es sich um Auftragskommunikation handelt; ebenso muss erkennbar sein, wer der Auftraggeber ist.
Bei Agenda-Medien bedeutet dies: Der Name der Organisation, die das Medium in Auftrag gegeben hat, muss für RezipientInnen auf den ersten Blick wahrnehmbar sein. Bei Printprodukten ist dies am besten zu leisten, indem der Name oder das Logo des Auftraggebers auf der Titelseite erscheint. Entsprechend ist bei Onlinemedien Name oder Logo auf allen Seiten zu integrieren. Ein alleiniger Hinweis auf den Auftraggeber im Impressum ist nicht ausreichend. Bei Agenda-Content ist die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Kennzeichnung (siehe §26 Mediengesetz) anzubringen. Zudem muss erkennbar sein, wer der Auftraggeber des Content ist. Die Wahrnehmbarkeit auf den ersten Blick erfordert in allen Fällen, dass der Hinweis ausreichend groß und kontrastreich gestaltet ist.
Journalismus oder Werbung: Content Marketing
Ist ein Kundenmagazin ohne Nennung des dahinterstehenden Unternehmens ein redaktionelles Medium oder bezahlte Werbung? Sind redaktionell gestaltete und nicht gekennzeichnete Beilagen in Printmedien, versehen mit dem Logo des Mediums, journalistische Produkte? Antworten auf diese Fragen bietet der Leitfaden zur Entwicklung von Content Marketing-Produkten des PR-Ethik-Rats. In einem Typologisierungsrahmen werden Medien dabei nach „Anspruch und Selbstverständnis des Mediums“, „Zielsetzung“ und „Inhaltlichem Regime“ unterschieden.
Journalistische Grundsätze im Content Marketing
Medien, die an sich den Anspruch stellen, redaktionell unabhängig und der Objektivität verpflichtet zu sein, im Interesse der Öffentlichkeit zu agieren und Inhalte nach journalistischen Grundsätzen zu erstellen, sind eindeutig als „Journalistische Medien“ wahrzunehmen. Bei sogenannten „Medienprodukten“ hingegen handelt es sich um Medien. Diese folgen zwar dem Anspruch, redaktionell unabhängig, objektiv und im Interesse der Öffentlichkeit zu agieren, allerdings bei der Erstellung ihrer Inhalte keine journalistischen Regeln als Korrektiv anwenden. Beispiele dafür sind Verlagsbeilagen oder Magazin-Specials, die zwar durch Magazin-Logo, -Layout und -Schriftbild als redaktionelles Produkt und Teil des Magazins wahrnehmbar sind, inhaltlich aber nicht nach den gleichen journalistischen Grundsätzen erstellt wurden.
Handlungsbedarf bei Agenda Medien und Agenda Content
Am anderen Ende der Bandbreite stehen „Medien der Auftragskommunikation“, die deutlich erkennbar im Auftrag und unter redaktionellem Einfluss der dahinterstehenden Organisation agieren und dessen Zielen mit ihren Veröffentlichungen folgen. Beispiele dafür sind Kundenmagazine von Unternehmen oder Organisationen (sogenannte „Agenda-Medien“), aber auch Online-Kommunikationsformen wie „Native Advertising“ oder „Influencer Marketing“ (sogenannter „Agenda Content“). Gerade in diesem Bereich sieht der PR-Ethik-Rat Handlungsbedarf bei der Absendertransparenz. Beispielsweise können LeserInnen oftmals nicht erkennen, dass hinter dem vermeintlichen Lifestyle-Magazin ein Markenartikelkonzern steht. Oder, dass im Heft ausschließlich Produkte aus dem eigenen Sortiment empfohlen werden.
Wahrnehmung als Kernfrage und Zumutbarkeit als Entscheidungskriterium
Aus Sicht des PR-Ethik-Rats haben sich Kommunikationsverantwortliche bei der Entwicklung von Content Marketing-Produkten daher nicht nur die Frage nach dem „Anspruch“ an den Inhalt, sondern auch nach der beabsichtigten „Wahrnehmung“ bei der Leserschaft zu stellen. §26 des Mediengeset- zes regelt zwar die vorgeschriebene Kennzeichnung – der PR-Ethik-Rat geht hier aber noch einen Schritt weiter und stellt das Kriterium der „Zumutbarkeit“ in den Vordergrund: Es ist einem Unterneh- men zumutbar, sein Logo oder Firmennamen so auf dem Titelblatt seines Kundenmagazins anzufüh- ren, dass es für KonsumentInnen „auf den ersten Blick klar erkennbar“ ist. Unterbleibt dieser Schritt, ist die Absicht klar, dass den RezipientInnen damit ein journalistisch-redaktionelles Produkt suggeriert werden soll.
Neuer Online-Kodex: Absendertransparenz im Vordergrund
Im September 2016 hat der PR-Ethik-Rat den österreichweit ersten Online-Kodex vorgestellt, 2017 wurde der Leitfaden vom internationalen PR-Agenturverband ICCO als „recommended paper“ für 39 PR-Verbände und 2.500 PR-Agenturen weltweit ratifiziert. Nun liegt die aktuelle Überarbeitung des Online-Kodex vor. Absendertransparenz und die gemeinsame Verantwortung von Auftraggeber und Auftragnehmer stehen dabei im Vordergrund.
Social Media-Kooperationen müssen präzisen Vorgaben folgen
So wurde der Kodex um zusätzliche Merkmale hinsichtlich der Kennzeichnung von bezahlten Inhalten in Online-Beiträgen ergänzt. Präzise Vorgaben betreffend gefälschter Postings und Profile wurden zudem vorgenommen. Im Kodex hält der PR-Ethik-Rat auch klar fest, dass Auftragnehmer (z.B. Agentur) und Auftraggeber (z. B. Unternehmen) gemeinsam Verantwortung für alle im Rahmen der Beauftragung durchgeführten Maßnahmen tragen. So lehnt der PR-Ethik-Rat das Verkaufen von Reichweite durch den Einsatz verwalteter dritter Accounts ab. Beispielsweise darf eine Agentur, die mehrere Social-Media-Accounts verwaltet, diese zur wechselweisen Reichweitensteigerung nur dann heranziehen, wenn die Auftraggeber darüber informiert sind und eine inhaltliche Nähe zwischen den Accounts oder Beiträgen besteht.
Der Online-Kodex ist auf prethikrat.at abrufbar.
Über den PR-Ethik-Rat
Der Österreichische Ethik-Rat für Public Relations steht für die freiwillige Selbstkontrolle der heimischen PR-Fachleute. Er überwacht die Einhaltung ethischer Grundsätze in der Öffentlichkeitsarbeit, untersucht Streitfälle, zeigt Fehlverhalten und Missstände auf. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt darin, Positionen, Prinzipien und Definitionen ethisch korrekten Verhaltens in der PR auszuarbeiten und zu publizieren. Besonders gilt dies für jene Bereiche, in denen ethische Standards (noch) fehlen oder unklar definiert sind. Der PR-Ethik-Rat wird aufgrund von Beschwerden tätig und greift auch selbst Fälle auf. Dem Rat gehören 12 Mitglieder aus allen Bereichen der Gesellschaft an.