Geschichten

Aus dem Leben einer Verlegerin – Teil 1

Die Stressmacherin Buch

Vorwort oder: Au zwick, ich bin die Stress­macherin?!

»Und? Wie geht’s dir so?«
»Ach, gut. Viel Stress, aber sonst alles okay.«
»Und bei dir?«
»Ja, auch. Wir haben so wahnsinnig viel zu tun. Es ist unglaublich stressig.«
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber so verlaufen täglich meine Dialoge, wenn ich mich bei anderen nach ihrem Befinden erkundige: Stress, Stress, Stress. Keine Zeit, aber davon massenhaft.
Wie die meisten anderen Unternehmer arbeiten auch mein Mann Elmar und ich nach der Devise: selbst und ständig. Allerdings mit einem entscheidenden Vorteil zu vielen anderen. Wir sind Verleger und lieben unseren Beruf. Es ist großartig, sich Bücher auszudenken, angebotene Manuskripte zu realisieren, tolle Projekte auf den Weg zu bringen. Mit wunderbaren und ganz unterschiedlichen Menschen zusammenzuarbeiten. So gesehen ist also alles absolut im grünen Bereich. Stress zu haben, war für mich »normal«. Nicht unangenehm. So ist das eben. Alles fein. Unter ein bisschen Stress leidet ohnehin jeder. Es gibt sogar den »positiven« Stress, der uns richtig guttut, wie uns viele Ratgeber versichern. Ich muss es wissen, wir verlegen diese Bücher schließlich.
Richtig? Richtig!
Oder: Es war richtig. Bis zu einem bestimmten Tag, an dem ich zweierlei herausgefunden habe …
Erste Erkenntnis: Nach knapp 15 Jahren Beziehung habe ich damals entdeckt, dass mein Mann immer dann besonders unleidig ist, wenn er einfach nur Hunger hat. Eine erstaunliche Erkenntnis. Warum ist mir das nicht schon früher aufgefallen? Es hätte uns vielleicht einige merkwürdige bis sinnlose Diskussionen – und damit häuslichen Stress – erspart.
Zweite Erkenntnis: Ich habe nicht nur Stress. Ich mache Stress. Mir selbst, vor allem aber: auch anderen!
Beide Entdeckungen haben mein Leben verändert. Einerseits bekommt Elmar seitdem rechtzeitig etwas zu essen. (Manchmal hat das etwas mit der Fütterung ausgehungerter Tiger zu tun, in anderen Fällen reicht die Ausgabe kleiner Käsewürfel.) Das vereinfacht das Eheleben enorm.
Andererseits ist mir jetzt bewusst, dass ich es bin, die anderen Stress macht, weil ich mir selbst Stress mache. Das hilft den anderen zwar noch nicht wirklich weiter, wenn sie mit mir zu tun haben, aber Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung …
Die Schlüsselszene, die mir die Augen für die zweite Einsicht öffnete, hat – natürlich – mit meinem lieben Elmar zu tun.
Nach einem kleinen abendlichen Disput vor ein paar Jahren, die zu Erkenntnis Nummer eins führte, erzählte er mir nämlich von seinem anstrengenden Tag. Ein Autor setzte ihn seit Tagen enorm unter Druck. Er rief täglich zu den unmöglichsten Zeiten an und erwartete offensichtlich, dass seine gerade erst versandten E-Mails bereits beantwortet waren, bevor Elmar überhaupt die Chance gehabt hatte, sie zu lesen. Selbstverständlich bemitleidete ich meinen armen Ehemann gebührend … Noch dazu, wo er den ganzen Tag keine Zeit zum Essen gefunden hatte.
Ein, zwei Minuten später fragte ich: »Sind wir mit dem Buch eh schon im Druck?«
»Was gibt’s zu essen?«, lautete die Gegenfrage.
»Weiß ich noch nicht. Aber was ist mit dem Buch?«
»Welchem Buch?«
»Dem Ratgeber natürlich, du weißt schon. Ich habe dir das doch vorhin gerade gemailt.«
»Aber, ich komme doch direkt vom Meeting und habe den Computer gar nicht mehr aufgedreht … wie soll ich da dein Mail gelesen haben? Was gibt’s außerdem zu essen?«
»Na ja, das ist aber doch voll wichtig.«
»Essen ist auch wichtig.«
»Essen kannst du morgen auch noch.«
»Bis dahin bin ich längst verhungert. Dann wird es dir leidtun.«
»Aber der Drucktermin!«
»Ja, jetzt mach mir doch keinen Stress!« – eine Reizphrase für ständig gestresste Verlegerinnen, weswegen die Antwort etwas lauter und betont ausfiel:
»Ich mache keinen Stress! Ich habe Stress!«
»Du hast Stress, weil du Stress machst!«, sagte Elmar. Auch lauter. Auch betonter. Und dann folgte der Killer-Satz, der alles veränderte: »Du bist schon wie der XY! DU BIST EINE RICHTIGE STRESSMACHERIN! Das sagen alle.«
»Was?!? Ich bin …, das ist doch …, aber, ich bin doch nicht …, ich bin doch nicht … ich bin doch nicht …« Gestammel meinerseits. Dem Fisch entfielen auf der Stelle alle Schuppen.
Ich, eine Stressmacherin?!?
Ich? Eine Stressmacherin?
Ich? Eine Stressmacherin!
Ich! Eine! Stressmacherin!
Au zwick. Sprachlosigkeit. Was schon etwas heißen will.
Ich bin eine Stressmacherin. Oje.
Nachsatz von Elmar: »Was essen wir jetzt?«
Es dauerte allerdings, bis ich tatsächlich verstand, wie, wem und wann ich meiner Umgebung und mir selbst Stress bereite. Manchmal sind das offensichtliche Stresssituationen, manchmal verbirgt sich Stress komischerweise dort, wo ihn keiner vermutet. In fast jeder Situation des Lebens steckt Stresspotenzial. Wir können uns überall gestresst fühlen. Ob der Stress durchschlägt, hat damit zu tun, mit wem wir es zu tun haben. Und wie wir uns verhalten. Ich durchforstete mein Leben. Immer auf der Suche nach Ausreden. Vielleicht sind doch die anderen schuld?
Aber, alles Drehen und Wenden war nutzlos, es ist wirklich so. Ich kann tatsächlich recht gut Stress verbreiten. Man könnte es ja liebenswürdigerweise auch Durchsetzungskraft nennen. Wenn mein Agieren nicht in vielen Situationen so ausgesprochen sinnlos wäre. Also, lassen wir das mit der Liebenswürdigkeit und blicken den Tatsachen lieber ins Auge.
Ich habe ein Problem mit Stress. Oder, besser gesagt: Ich bin das Problem.
Falls Sie also Stress vermeiden wollen, gebe ich Ihnen eine faire Warnung: Weichen Sie mir aus! Spätestens nach der Lektüre dieses Buches wissen Sie, was andernfalls auf Sie zukommen würde, sollten Sie es mit mir zu tun bekommen. Und Vorsicht: Anfangs tarne ich mich geschickt. Schließlich habe ich ja selbst einige Zeit gebraucht, um mich vor mir selbst zu outen …
Vielleicht gründe ich demnächst eine Stressmacherinnen-Selbsthilfegruppe. Ich ertappe nämlich nicht nur mich selbst dabei, Stress zu verbreiten. Wir sind viele! Sie können gerne beitreten, wenn Sie sich in den Geschichten wiedererkennen. Wenn Sie noch nicht so weit sind, können Sie mich auch völlig anonym auf meinem Blog www.stressmacherin.com begleiten.
In diesem Buch finden Sie einen Querschnitt all jener Situationen meines Lebens, die ich seit meiner Erkenntnis aufgespürt habe, und in denen Stress irgendeine Rolle spielt. Offen oder etwas versteckter. Interessanterweise gelingt es mir, in jede noch so harmonische Situation ein bisschen Stress einzubauen. Ob in beruflichen Angelegenheiten, im Umgang mit Familie, beim Sport, in der Freizeitplanung, in eigentlich entspannten Gesprächen – Selbstgespräche mit eingeschlossen. Irgendetwas stresst mich, oder ich stresse mich selbst mit etwas, was dazu führt, dass ich wiederum andere stresse. Das klappt erstaunlicherweise überall ganz gut. Manchmal merke ich das gar nicht, wenn ich nicht liebevoll oder nachdrücklich darauf hingewiesen werde. Ich scheine diesbezüglich eine zwar bemühte, aber unverbesserliche Serientäterin zu sein. Vielleicht ergeht es Ihnen ähnlich?
Noch zwei kleine Hinweise in eigener Sache: Einerseits kommen in den folgenden Geschichten einige Buchtitel vor, die in unserem Verlag erschienen sind. Ich bin eben als Verlagsleiterin zuständig für die Bandbreite unserer Inhalte und aus persönlichem Interesse lektoriere ich viele dieser Bücher selbst. In dieser Funktion picke ich mir auch für mein (Privat-)Leben stets das heraus, was mir weiterhilft. Vor allem in puncto Anti-Stress-und-Achtsamkeits-Wiederfindungs-Methoden finden sich da viele wertvolle Tipps. Die ich mir stets vornehme, gleich tatkräftig umzusetzen. Ob ich sie allerdings immer richtig verstanden habe, ist eine andere Frage … Die Erwähnung dieser Bücher ist also keine Eigenwerbung (obwohl: es sind großartige Bücher), sondern hat unmittelbar mit meinem Leben zu tun. Sie finden sie natürlich auch auf unserer Website. Und habe ich eigentlich erwähnt, dass sie großartig sind?
Naturgemäß stoßen Sie in diesem Buch außerdem auf Gespräche, die ich mit meinem Mann, meinem lieben Elmar, führe. Er ist nun mal der wichtigste Mensch in meinem Leben, und da wir den Verlag gemeinsam leiten und uns in der Freizeit gleichfalls sehr lieb haben, sind wir praktisch 24 Stunden am Tag zusammen. Möglicherweise kommen Ihnen die Dialoge merkwürdig vor. Und auch falls die NSA mitliest – man weiß ja nie –, bitte lasst uns nicht entmündigen. Wir sind vielleicht seltsam, aber harmlos.
Ich wünsche Ihnen also viel Spaß beim Lesen der Geschichten. Ursprünglich sollten es 30 werden, aber dann hatte ich zu viel Stress. Dafür sind nun alle 29 Episoden sehr kurz. Weil … Sie wissen ja … für längere habe ich keine Zeit.
Viel Vergnügen und vielleicht spannende Selbsterkenntnisse!
Ihre (bekennende) Stressmacherin
Verena Minoggio
PS: Um Ihnen gleich zu Beginn einen Stress zu nehmen: Die Lektüre unterliegt keiner Deadline, sie müssen das Buch nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gelesen haben. Lassen Sie sich also ruhig Zeit!
Ganz normale Zeitplanung einer Stress­macherin …
Ich habe gern alles schön geplant. Komischerweise führt das zu den immer wieder gleichlautenden Dialogen.
[Nein, ich nenne keine Namen von irgendwelchen Verlegern, die ein völlig anderes Zeitgefühl haben …]
Stressmacherin (liebenswürdig) zum Ehemann: »Wann fahren wir heute los?«
»Das haben wir doch gestern Abend schon besprochen.« (Ehemann gibt sich wie immer gleichmütig. Doch eine Stressmacherin ist nicht so rasch zufriedenzustellen.)
»Ja, also, wann denn genau?«
»Wann möchtest du denn fahren?«
»Um halb elf Uhr.«
»Gut.«
[Pause]
»Also, fahren wir um halb elf los?«
»Ja, haben wir doch gesagt.«
»Ich meine aber: wirklich um halb elf aus der Tür gehen! Nicht erst dann fertigmachen.« Präzision in zeitlichen Angelegenheiten ist eines der Grundbedürfnisse für Stressmacherinnen. »Wir fahren also in einer halben Stunde los?«
»Mmm.« Es klingt wie eine Zustimmung. Bestimmt ist das eine Zustimmung.
[Pause]
»Wie spät ist es jetzt?«
»Zehn nach zehn.«
»Na gut, dann mache ich mich jetzt fertig.« Stressmacherin setzt eine eindringliche Miene auf … Nur schade, dass er gerade nicht hinschaut.
Kurz darauf:
»Es ist viertel elf! Willst du dich nicht auch fertigmachen?«
»Was? Dann sind wir ja schon viel zu spät! Viertel über elf?«
»Nein. Es ist viertel elf. Auf Wienerisch. Das bedeutet: ein Viertel über zehn. Oder fünfzehn Minuten nach zehn.«
»So sagt doch keiner.«
»Doch, in Wien schon.«
»Ja. Aber sonst keiner …«
»Es ist aber logisch. Ich sag ja auch dreiviertel elf und halb elf … dann muss es auch viertel elf heißen …«
»Unsinn. Das heißt viertel über zehn oder viertel nach zehn. Auf der ganzen Welt …«
»In Wien heißt es eben viertel elf … Das ist ja auch logisch …« [Es folgt beliebig oft die Wiederholung des bisher Gesagten. Dieser Dialog folgt einem üblichen ehelichen Gesprächsmuster. Manchmal werden auch Beweispersonen herangezogen und gezwungen, die jeweils vertretene Ansicht zu bestätigen.]
[Pause]
Die Stressmacherin steht – fertig gekleidet mit Tasche und Schuhen – in der Tür.
»Machst du dich nicht fertig?« Stressmacherin bleibt betont ruhig.
»Gleich. Ich löse nur noch ein Sudoku.«
»Jetzt?!? – Aber das dauert doch!« Immer noch ruhig – für Stressmacherinnen-Verhältnisse.
»Das geht ganz schnell.«
»Bist wohl ein Superhirn. Aber bitte, übersieh nicht die Zeit!« Stressmacherinnen können auch großzügig sein.
»Mmm.«
[Pause]
»Kommst. Du. Dann … Bitte.«
»Jaaa! Ich lade mir nur noch rasch die E-Mails runter. Geht ganz schnell.«
»Bitteeee! Wir sind eh schon spät dran!« Verhaltenes Kreischen.
»Du kannst mir ja noch schnell einen Kaffee machen. Ich habe noch nicht meinen zweiten Kaffee gehabt!« Ein Verleger benötigt stets mindestens einen zweiten Kaffee. Auch das fällt unter eheliche Dauergespräche.
»Was? Nein! Wir gehen jetzt! Es gibt keinen Kaffee mehr. Du hast es versprochen!«
»Ja, ich komme ja schon. Ist doch immer das Gleiche …« [unverständliches Gemurmel] Verleger-Ehekrisen-Gipfel.
Beim Verlassen des Hauses kann die Stressmacherin sich den nützlichen Hinweis nicht verkneifen:
»Da siehst du es! Sieben nach halb! Wir sind total spät dran. Und wir sind noch nicht mal beim Auto.«
»Na und? Was versäumen wir denn?«
»Also, … das ist doch … Aber wir haben gesagt, dass wir um halb gehen …«
»Und? Jetzt ist es eben etwas später …«
»Ja, aber wir haben gesagt, wir gehen um halb. Du bist ein waschechter Poly!« (Seit der Lektüre des Buchs »Tickst du richtig?« ist die Stressmacherin begeisterte Anhängerin der These, dass es zwei vollkommen unterschiedliche Zeittypen gibt. Eine ehetechnisch gesehen epochale Erleuchtung, denn sie hat festgestellt, dass der polychrome Ehemann in zeitlichen Belangen mit monochromer Stressmacherinnen-Lebensweise völlig inkompatibel ist.)
»Und du bist ein Mono!«
»Poly!«
»Mono! Mono! Mono!« Es folgt ein weiterer beliebig oft wiederholbarer Dialog, der entweder in Gelächter oder veritabler Ehekrise endet.
»Siehst du … Jetzt kommen wir zu spät!«
»Wohin? Wir haben doch gar keinen Termin!«
»Trotzdem.«
»Entspann dich! Es ist SONNTAG!«
Täglicher Wahnsinn im Verlag …
Sie ist da! Sie ist da! Sie ist da!
Die neue Verlagsvorschau natürlich. Was sonst?! Der Nabel der Welt, das Salz in der Verlagssuppe, das A und O im Alphabet. Oder so. Jedenfalls stellen wir damit zweimal im Jahr dem Buchhandel unsere neuen Bücher vor. Und aus mir unbekannten Gründen werden wir immer erst in allerletzter Sekunde, bevor sie zu festen Terminen, die jedes Jahr gleich sind, angeliefert werden müssen, fertig.
Na gut, sie ist NOCH NICHT GANZ da. Kreisch! Warum nicht?
Warum. Ist. Die. Noch. Nicht. Geliefert?!? Warum?
Buchhändler interessiert doch keine Online-Vorschau. Die brauchen das Print-Ding. Außerdem blättere ich auch irrsinnig gern drin. (Der Irrsinn ist in dieser Phase bitte wörtlich zu nehmen.)
Nein, so geht das nicht. Eindeutig.
Rufe viertelstündlich in der Druckerei an. Animiere den besten aller Geschäftsführer, ebenfalls jede halbe Stunde bei der Druckerei nachzufragen.
Dann schieße ich ein E-Mail nach dem anderen hinaus.
Und sollte ich nicht zusätzlich noch ein Fax …?
Na gut, na gut. Das geht zu weit. Ich muss mich in Geduld üben. Geduld ist wichtig für … Für irgendetwas eben. Weiß ich jetzt auch nicht so genau. Warte ich also. Ruhig. Geduldig. Wird schon kommen.
Kann inzwischen mit Grafiker Modifikationen der Online-Version besprechen. Der freut sich.
Etwas Kopfweh.
Wo bleibt jetzt die Vorschau?
Frage sicherheitshalber noch mal Druckerei, Grafiker, Mitarbeiter, Chef, Spediteur, Nachbarn. Bestimmt hat sie wer gemopst oder missgünstige Menschen versuchen, uns zu sabotieren. Könnte doch durchaus sein … Halte das für eine realistische Annahme und überlege, unseren Rechtsanwalt zurate zu ziehen. So etwas gehört behördlich verfolgt und gemein ist es auch.
Kleiner Anfall von Paranoia.
Wie? Was?
Schon lange direkt bei der Auslieferung angeliefert? Warum weiß das keiner? Ich telefoniere da stundenlang … Typisch. Mir sagt keiner etwas. Nie.
Ich meine, ich weiß nicht … Bin ich der Verlagskasperl hier?!
Aber gut. Ist das erledigt.
Nervöses Zucken der Augenbrauen.
Was jetzt?
Gut. Nach der Vorschau ist vor der Vorschau.
Rufe Grafiker an. Wegen der Cover für das nächste Jahr. Wir können ja nie früh genug anfangen, wegen der fixen Termine. Der freut sich.
Leichte Verspannungen.
Wieder etwas erledigt. Jetzt? Autoren quäl…, nein, sanftes Nachfragen, wo die Manuskripte bleiben.
Wie? Schon lange abgegeben? Müssten in meinem E-Mail-Eingang sein? Was? Wo? Wann? Habe ich sie übersehen? Gibt’s eigentlich gar nicht. Tatsächlich! Wie das?
Unkontrollierbarer Hustenanfall.
Okay. Na gut, wenn das so ist. Muss ich Lektoren organisieren, die sich der Manuskripte annehmen. Gar nicht so einfach. Krank, auf Urlaub, ausgewandert … Rücksichtslos die Leute!
Hysterische Schnappatmung.
So, stopp jetzt! Selbstberuhigung. Ruhig atmen. Habe ich schon gelernt. Stelle mir kleinen Fisch in ruhigem Aquarium vor. Wirkt angeblich beruhigend. Auf Pferde zumindest.
Da fällt mir ein: Könnte Urlaub buchen. Bin vielleicht gar schon zu spät. Dann sind wieder alle tollen Angebote weg.
Unkonkretes Unwohlsein.
Hm. Ich lese gerade im Buch »Signale des Körpers«, dass der Körper dauernd mit einem spricht.
Hat der nichts anderes zu tun?!
Gartenidylle I
Ich bewache samt Hund den Garten der Eltern. Und die Gartenzwerge auch.
Zugegeben, ein vorgeschobener Grund. Eigentlich genieße ich es. Ich schlafe so gut hier. Die schöne klare Luft. Die Ruhe. Vöglein zwitschern. Blumen blühen. Hunde jaulen.
Moment! Wieso jaulen Hunde? Wieso schlafen die nicht? Beziehungsweise warum schläft mein Hund nicht? Wie jeder vernünftige Hund? Er soll aufwachen, wenn Gefahr droht, aber nicht so grundlos. Es ist fünf Uhr morgens, Himmel noch mal! Warum ist der Hund keine Katze, dann könnte er sich selbst durch eine Katzenklappe in den Garten lassen. Und warum gibt es eigentlich keine Hundeklappen? Gut, für den Bernhardiner wäre es schwierig gewesen. Aber der aktuelle Hund meiner Eltern ist ein süßer, kleiner, weißer Wuschel-Irgendwas-Mix. Außerdem sieht er aus, als würde er immer lachen. Süß und freundlich. Für seine Größe wäre eine Klappe vollkommen ausreichend. Aber ich nehme mal an, mein Papa wäre nicht gerade begeistert, wenn ich ein Loch in seine Türe schnitze.
Hilft also alles nichts, aufstehen und Hund in den Garten lassen. Dann lasse ich die Türe gleich offen und kuschle mich oben wieder ins Bettchen. Wird mich schon keiner stehlen. Wozu habe ich einen Wachhund.
Schlummere bald wieder selig vor mich hin.
Was ist jetzt? Was quietscht da schon wieder? Schaue aus dem Fenster auf den Rasen hinunter.
Oh nein! Der Hund jagt zwei niedliche Feldhamster! Der Hund ist kein lieber, süßer, lächelnder Weißflausch, sondern eine hamstermordende Bestie. Kein süßes Lachen, sondern verzerrte hämisch grinsende Joker-Fratze! Jetzt fällt mir wieder ein, dass er tatsächlich bereits einige Kerben auf seiner Hundehütte hat. Es hat sich außerdem lange kein Hamster mehr blicken lassen. Die haben wohl in der Umgebung kleine Hamster-Warnschilder aufgestellt und dieses Grundstück zur absoluten Verbotszone für kleine Knopfaugen-Felltiere deklariert.
Einen Hamster hat die wildgewordene Bestie schon erledigt. Und mit dem anderen spielt sie jetzt auch noch! Was haben meine Eltern da für einen Killerhund großgezogen? Obwohl, groß ist er ja nicht wirklich. Aber irgendetwas haben sie offensichtlich falsch gemacht. Zum Glück nicht bei uns Kindern! Zumindest hat es diesbezüglich noch keine familiären Schwierigkeiten gegeben. Wir sind relativ gut geraten, eigentlich. Warum mordet der Hund dann zum Spaß? Er kommt doch aus einem guten Elternhaus, hat genug zu essen und jetzt das?!
Ich kann nicht zusehen. Das ist grausam. Der Hamster hat keine Chance mehr. Der Hund kann mich doch nicht zwingen, dem Hamster den Rest zu geben, nur weil er jetzt vor dem finalen Biss noch stundenlang spielen will. Das soll er gefälligst selbst machen und mit seiner Tat dann leben.
Aus Mitgefühl mit dem Hamster schreie ich so laut ich kann in die laue sanfte Morgenstille hinaus: »Jetzt bring ihn doch endlich um! Bring ihn endlich um! BRING! IHN! UM!«
Seitdem begegnen mir die Nachbarn und die Gartenzwerge mit einem gewissen Misstrauen.
Lebensspielregeln à la carte
Das Leben ist wie …
Gut, dazu fällt mir jetzt auch nichts ein, was nicht ein Schlauerer schon vor mir gesagt hat. Oder einer auf Drogen.
Aber fest steht: Es gibt unumstößliche Lebensspielregeln.
Man steckt seinen Kopf nicht ins Maul eines Krokodils und man spielt nicht mit einem Bären. Selbst wenn er besonders süß und kuschelig aussieht, klettert man im Zoo nicht ins Gehege. (Nein, der will nicht nur spielen …) Falls Sie meinen, das seien keine fixen Lebensspielregeln, dann googeln Sie doch mal Bär, Gehege, Mensch. – Überrascht? Na eben. Deshalb braucht es fürsorgliche Menschen wie mich, die das einmal ausdrücklich sagen. Selbst wenn meine Hinweise anderen Stress bereiten, halte ich sie in diesem Fall für völlig angebracht. Also, bitte halten Sie sich zurück – und wenn notwendig auch alle anderen.
Weiters gilt unumstößlich: Man schreibt nicht auf Facebook, was der Chef für ein Riesenidiot ist, wenn er zum virtuellen Freundeskreis zählt oder die Posts auf öffentlich gestellt sind. (Das könnte sich als blöder Fehler entpuppen. Echt!)
Außerdem sagt man nicht zum Ehemann: »Schatz, trag noch schnell den Müll hinunter«, wenn der spät abends völlig erschöpft vom Businesstermin heimkommt. (»Ich wollte doch nur spielen«, zieht dann nicht mehr als Ausrede. Garantiert. Das zumindest … hm … kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung garantieren.)
Das Problem mit den Lebensspielregeln ist bloß: Jeder hat – neben ganz offensichtlichen, die nur Idioten übertreten – eben zusätzlich noch eigene Regeln.
Ich treffe deshalb täglich auf Menschen, die meine persönlichen Lebenskrokodile nicht kennen. Diese verstoßen dann unwissentlich gegen meine ungeschriebenen Gesetze des Lebens. Man darf diesen Leuten aber deshalb nicht ans Schienbein treten. (Gut, das ist jetzt eher so eine Regel meiner Eltern.) Aber diese Leute bereiten mir Stress. Und wenn sie mir Stress machen, mache ich anderen Stress, die dann wiederum … Sie verstehen das Prinzip?
Deshalb habe ich eine neue Regel erfunden: Arbeite mit Tricks!
Zum Beispiel: Die Aha-Regel und die Testpersonen-Regel funktionieren! Habe ich selbst getestet.
Bin davon unglaublich begeistert, diese Regeln haben mein Leben verändert. Und sind sehr leicht umzusetzen. Ganz verkürzt gesprochen: Wenn Ihnen einer dumm kommt, treten Sie gedanklich einen Schritt zurück und sagen erst mal »Aha« oder rufen sich fröhlich innerlich zu: »Testperson! Testperson! Testperson!« Im Übrigen rufen wir das im Verlag nicht mehr nur innerlich. Und falls Sie bei uns Autor werden möchten, müssen Sie zuerst einen 30-seitigen Fragebogen zu Ihrem Gemütszustand und Ihrer allgemeinen Befindlichkeit ausfüllen. Psychologisch geschulte Mitarbeiterinnen werten das dann aus. (Und bevor Sie fragen: Nein, die Chefs im Verlag haben sich diesem Test nicht unterziehen müssen.)
Fakt ist aber: Die Tricks funktionieren! (Falls Sie diese genauer interessieren, finden Sie dazu im Anhang natürlich 1-A-Leseempfehlungen.)
Diese brillanten Methoden schonen zarte Verlegerinnen-Nerven, und verleihen zusätzlich den sphärischen Glanz exorbitanter Überlegenheit und Abgeklärtheit. Nein, es geht nicht um Drogen! Aber ein ausgeglichenes Lächeln ist inklusive, ohne dass Sie dazu einen Langstreckenlauf absolvieren und rein auf Endorphine setzen müssen. Vielleicht wirke ich dabei etwas dümmlich. Das nehme ich aber in Kauf, weil es meine unbeliebten Kreischattacken und Magenschmerzen um ein Vielfaches reduziert.
Sie meinen jetzt vielleicht, ich bräuchte das nicht, weil die Verlagsbranche sowieso eine ruhige ist, wo komische Verlagsmenschen völlig abgehoben agieren? Zumindest war das die Meinung einer Praktikantin, auf die Frage, was sie vermutet, was Verlegerinnen den ganzen Tag tun. Sie sah mich mit verschlafenen Augen verständnislos an und meinte in unnachahmlicher, sehr gezogener Sprechweise: »Ach, da ist nicht viel zu tun. Das ist ganz easy, die sitzen nur da, warten und sagen zu Manuskripten ‚Jaaaa‘ oder ‚Neeeeiin‘«. Die Praktikantin war von grenzenloser Lebenserfahrung, rührender Naivität und natürlicher Intelligenz. Sehr natürlich. Ich glaube, sie studiert jetzt Kristallografie oder Keltologie.
Andererseits … Das habe ich mir noch gar nicht so überlegt. Vielleicht hatte sie recht, und ich mache seit Jahren alles falsch?! Was für ein Leben entgeht mir da? Dabei sollte ich doch den ganzen Tag nichts anderes machen, als »Ja« oder »Nein« zu sagen. Werde das gleich einmal ausprobieren. Warten Sie einen Moment …
Bin zurück. Mein Mann fragt, ob ich jetzt komplett abgedreht bin.
Was ich mir aber alles erspart hätte, würde ich Manuskripte einfach mit knappem Ja oder Nein annehmen oder ablehnen, anstatt mir den Mund fusselig zu reden und die Tastatur mit all den Begründungen zu strapazieren!
Denn tatsächlich bekomme ich manchmal gar nicht so einsichtige Antwort-Mails von Autoren, deren Bestseller ich abgelehnt habe:
»Sie werden schon noch sehen! Und dann tut es Ihnen leid, dass Sie mein Buch nicht verlegt haben. Auf Knien werden Sie betteln, wenn ich mir scheibtruhenweise mein Geld abholen komme!« (Nein, E-Mails dieser Art sind nicht erfunden. Leider …) Ich hielt früher in solchen Fällen die Sache mit dem Bärenkäfig für eine gute Option. Aber dann taten mir die Bären doch wieder leid. Heute identifiziere ich milde lächelnd: Aha! Klare Testperson.
Eine andere Situation, in der die neuen Regeln gut funktionieren:
Ich halte einen stundenlangen Vortrag für angehende Autorinnen und Autoren darüber, wie ein Verlag arbeitet und wie wichtig ein gutes Exposé für den Verlag ist. Welche Unterlagen wir benötigen und in welcher Form. Und bitte unbedingt per E-Mail, wo alles Relevante klar ersichtlich drinsteht. Ein Verlag braucht Zeit zur Entscheidungsfindung. Es geht nicht in einer Minute. Viele Faktoren spielen eine Rolle. Bitte, bitte, schicken Sie nicht ein Mail mit tausenden Links, anhand derer wir uns die wichtigen Informationen selbst zusammensuchen sollen. Bitte scannen Sie nicht jede Seite Ihres ganzen Manuskripts ein, wir nehmen es Ihnen nicht weg, auch wenn Sie ein ordinäres Word schicken. Bitte erwarten Sie nicht, dass wir von einem Halbsatz darüber, worum es in dem Buch geht, auf den Bestseller schließen können. Bitte verlangen Sie nicht, dass wir innerhalb einer Minute entscheiden können, ob Ihre Buchidee etwas taugt. Wir müssen so viel mehr über das Thema und den Autor wissen. Deshalb bitte ein ausführliches Exposé. Sonst wird das nichts.
Mein Mund ist bereits trocken, aber ich freue mich über das rege Interesse. Nickende Köpfe mit verständnisvollen Blicken allseits. Ha – war überzeugender Vortrag. Message bei allen angekommen. Bin erstklassige Vortragende. Große Karriere als Speakerin in Aussicht …
Ein Zuhörer fuchtelt anschließend mit seinem Smartphone vor meiner Nase herum.
»Das sieht man jetzt da nicht so gut in der App. Aber das ist meine Buchidee. Was meinen Sie?«
AHHHHH! … Aha!
Bin in absoluter Balance, unerschütterlich, ruhender Pol. Könnte jederzeit in Bärenkäfig klettern und süßer Bär würde sich ganz friedlich zwischen den Ohren streicheln lassen und wahrscheinlich zu schnurren beginnen. Krokodile würden mir Essen bringen.
Nur manchmal … also manchmal … halte ich den Tritt ans Schienbein immer noch für die bessere Option.

FORTSETZUNG FOLGT

Dieses und weitere Bücher gibt es beim Goldegg Verlag