Die Cannes Lions canceln Einreichungen aus Russland, PR-Verbände schließen ihre russischen Mitglieder aus und Agenturen beenden die Zusammenarbeit mit russischen Kunden. Mit teils drastischen Maßnahmen reagiert die weltweite PR-Wirtschaft auf den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine. O.VATION hat Österreichs führende PR-Treibende gefragt, ob und wie sich der Krieg in der Ukraine auf den Agenturalltag auswirkt, welche Effekte sie für die Branche erwarten und was sie von bisherigen Reaktionen der Kommunikationsbranche halten.
Von Simon Gebauer
Jürgen Gangoly (Skills Group)
Hat der Krieg in der Ukraine konkrete Auswirkungen auf Ihren Geschäftsalltag?
Ja, wir stehen unseren internationalen Kunden kommunikativ und organisatorisch zur Seite. Es gibt ja kaum ein international tätiges Unternehmen, das von der aktuellen, sehr traurigen Situation nicht in irgendeiner Form betroffen ist. Sei es im Import oder Export, oder mit tragischen Situationen in den Familien von MitarbeiterInnen.
Welche Folgen wird der Krieg in der Ukraine für die PR-Branche haben?
Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Viel wichtiger ist es, wie es jetzt rasch gelingen kann, Flüchtlingen zu helfen und weitere unschuldige Todesopfer zu vermeiden.
Sollte die PR-Branche auf den Krieg reagieren – und wenn ja, wie? Medien- und KommunikationsexpertInnen können mithelfen, Desinformation und Fake-News aufzudecken und ihre internationalen Netzwerke einsetzen, um die Betroffenen vor Ort zu informieren und Hilfsorganisationen bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Bei Skills haben wir bereits dementsprechende Maßnahmen gestartet und umgesetzt.
Was halten Sie vom Ausschluss von russischen Agenturen und Organisationen aus PR-Verbänden?
PR-Agenturen und Branchenorganisationen, die sich nicht klar von den kriegerischen Handlungen Russlands distanzieren, oder – noch schlimmer – sogar für deren Verantwortliche arbeiten, haben in demokratischen, internationalen Branchengremien natürlich nichts verloren. Beurteilt werden muss das natürlich fair und in jedem Fall einzeln, denn wir wissen, dass öffentlicher Widerspruch in Ländern wie Russland nicht nur wirtschaftlich existenzielle Folgen haben kann, sondern Kritiker auch ins Gefängnis und im schlimmsten Fall um ihr Leben bringt.
Alexander Khaelss-Khaelssberg (Leisure Communications)
Hat der Krieg in der Ukraine konkrete Auswirkungen auf Ihren Geschäftsalltag?
Der Krieg dämpft die Wirtschaftsstimmung. Die Sanktionen der Europäischen Union haben einen massiven negativen Effekt auf den europäischen Binnenmarkt. Wir bewegen uns in einer globalisierten Wirtschaft, die unter den Nachwehen der Pandemie leidet. Probleme bei Rohstoffen und in Lieferketten zeigen, dass es illusorisch ist, internationale Verflechtungen über Nacht komplett zu lösen. Wir sehen, dass es nun eine neue Frontline zwischen autoritären Staaten und liberalen Demokratien zu verteidigen gilt. Da stellt sich die Frage des Preises, den wir dafür zahlen, einfach nicht.
Welche Folgen wird der Krieg in der Ukraine für die PR-Branche haben?
Der Stellenwert etablierter Medienmarken als verlässliche, fundierte und objektive Informationsquelle gewinnt erneut an Bedeutung, während soziale Medien zum Sumpf der Falschmeldungen und demokratiefeindlichen Propaganda verkommen. Die PR-Branche kann vom wachsenden Vertrauen in etablierte Medienmarken profitieren. Werbetreibende sind gut beraten, ihre Spendings im Umfeld vertrauenswürdiger Medienumfelder zu allokieren.
Sollte die PR-Branche auf den Krieg reagieren – und wenn ja, wie? Voreiliger Aktionismus ist nicht minder effektlos als Lippenbekenntnisse, um das eigene Image vor dem Hintergrund menschlichen Leids zu polieren. Die Vorverurteilung von 144 Millionen in Russland lebenden Menschen für das Handeln ihres Präsidenten schafft keinen Frieden. Es braucht eine reflektierte, hinterfragende und kritische Herangehensweise, aber keine weitere Spaltung und Diskriminierung in der Gesellschaft. Die gesamte Kommunikationswirtschaft kann einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie den europäischen Medienstandort und glaubwürdigen Journalismus durch richtige Budgetentscheidungen fördert.
Offizielles Statement Public Relations Verband Austria (PRVA)
Die weltpolitischen Ereignisse machen deutlicher denn je, welche Funktion und Relevanz Kommunikation in unserer Gesellschaft hat. Die Kommunikationsbranche hat in diesen Tagen eine besondere Verantwortung – nicht nur dafür, Menschen nach ethischen Standards transparent zu informieren, sondern auch für die Stärkung von Freiheit und Demokratie. Wir rufen alle Kommunikationsverantwortlichen auf, in diesem Sinne verantwortungsvoll zu agieren – und erklären uns solidarisch mit allen Menschen, die heute unter der Beeinträchtigung dieser Werte leiden.
Karin Wiesinger (PRVA-Präsidentin)
Wie bewerten Sie die Auswirkungen auf den Geschäftsalltag in der Kommunikationswelt?
Im Geschäftsalltag bedeutet es vor allem für jene KommunikatorInnen, eine klare Haltung im Sinne der Wirtschaftssanktionen einzunehmen, die mit russischen Behörden oder Unternehmen in Verbindung stehen. Hier ist die Branche gefordert, Flagge zu zeigen und eine klare Position im Sinne des Völkerrechts und unserer gemeinsamen Werte zum Ausdruck zu bringen.
Wie beurteilen Sie die mittelfristigen Folgen für die PR-Branche?
Die Invasion in der Ukraine wird Fragen der Ethik und Berufs-Standards bei der Annahme von Mandaten noch verstärken und die Sensibilisierung für diese Themen erhöhen. Langfristig müssen diesbezügliche Kriterien und Standards auch stärker in die Aus- und Weiterbildung von MitarbeiterInnen und BerufseinsteigerInnen Eingang finden. Der PRVA setzt sich auch im Rahmen der Transformation intensiv mit Ethik- und Verantwortungsthemen auseinander und wird diese auch verstärkt an seine Mitglieder herantragen.
Weiters wird auch das Thema Media Literacy/Glaubwürdigkeit von Informationsquellen durch die beispiellose Aggression Russlands gegenüber der Ukraine an Bedeutung gewinnen: einmal mehr führt der Krieg uns die fatalen Folgen von Desinformation und gesteuerter Propaganda vor Augen. KommunikatorInnen und Medien tragen eine große Verantwortung, die Menschen transparent zu informieren und Werte & Haltung zu vermitteln. Wir müssen uns dieser Verantwortung sehr bewusst sein, sorgsam damit umgehen und Sicherheit schaffen, statt Verunsicherung zu schüren.
Julia Breitkopf (FURORE Brand Communications)
Als Reaktion auf den Ukraine-Krieg beenden auch PR-Agenturen die Zusammenarbeit mit ihren russischen KundInnen. Wenn Unternehmen nun ihre Ethik entdecken, dann ist das lobenswert, jedoch sollte sie grundsätzlich die unternehmerischen Entscheidungen bestimmen. PR-Profis tragen Verantwortung, sie wirken daran mit, wem mediale Aufmerksamkeit zuteil wird und wem nicht. Kommunikationsfachleute müssen Haltung zeigen, in guten wie in schlechten Zeiten.
Branchenmedien berichten, dass PR-BeraterInnen verkünden, “es gäbe jetzt keine Nuancen mehr”. Diese Undifferenziertheit der Branche erschreckt mich. Es ist vor allem für die Kommunikationsbranche wichtig, nicht zu pauschalisieren. Die russische Kundin ist auch die Einzelunternehmerin, die sich in Österreich ein nachhaltiges Modeunternehmen aufbaut. Wenn wir Putin und die Bevölkerung in und aus Russland gleichsetzen, übernehmen wir die Darstellung der russischen Staatsmedien, die propagieren, dass alle Russinnen und Russen hinter ihrem Präsidenten stehen. Unsere Solidarität muss nicht nur den UkrainerInnen gelten, sondern all jenen, die gegen Putins Krieg sind und Frieden wollen.
Thomas Reiter (Reiter PR)
Hat der Krieg in der Ukraine konkrete Auswirkungen auf Ihren Geschäftsalltag?
Unsere Auftraggeber stammen fast zur Gänze aus der EU. Nur rund zwei Prozent der Exporte Europas gehen in die Russische Föderation. Auf unseren unmittelbaren Geschäftsalltag hat der menschenverachtende und von Wladimir Putin zu verantwortende Krieg somit keine nennenswerten Auswirkungen, sehr wohl aber auf unser Leben und Selbstverständnis als friedliche, weltoffene Europäer.
Welche Folgen wird der Krieg in der Ukraine für die PR-Branche haben?
Eine belastbare mittelfristige und langfristige Prognose ist weder für die PR-Branche noch sonst eine Branche möglich. Es gibt vorerst zu viele unbekannte Variablen wie z. B. Kriegsdauer, Eskalation bzw. Deeskalation der Kampfhandlungen oder das zukünftige Momentum der Bürgerbewegung in Russland, die den östlichsten Teil unseres Kontinents hoffentlich wieder näher an Europa bringen wird.
Sollte die PR-Branche auf den Krieg reagieren – und wenn ja, wie?
Ich unterstütze alle nicht-militärischen Maßnahmen, die den Frieden in der Ukraine schnellstmöglich wiederherstellen und eine wirtschaftliche und politische Isolation des russischen Machthabers durch Sanktionen erwirken. Gleichzeitig möchte ich unterstreichen, dass ein Europa ohne Russland für mich nicht denkbar und möglich ist.
Eva Mandl (Himmelhoch PR)
Hat der Krieg in der Ukraine konkrete Auswirkungen auf Ihren Geschäftsalltag?
Derzeit sind noch keine Auswirkungen spürbar, weil wir keine russischen, weißrussischen, oder ukrainischen Auftraggeber haben. Mittelfristig denke ich aber schon, dass es negative Auswirkungen geben wird, weil der gesamte europäische Markt von den diversen Sanktionen und zu erwartenden russischen Gegenmaßnahmen betroffen sein wird.
Welche Folgen wird der Krieg in der Ukraine für die PR-Branche haben?
Unsere Branche muss noch sensibler werden um mitzuhelfen, Fake-News zu vermeiden. Aber auch bestehende und neue Kundenbeziehungen sollten dahingehend gescreent werden, ob nicht direkt oder indirekt der russische Angriffskrieg unterstützt wird.
Sollte die PR-Branche auf den Krieg reagieren – und wenn ja, wie?
Russland, vertreten durch seinen Präsidenten Putin, hat einen durch nichts zu rechtfertigenden Angriffskrieg gegen die Ukraine gestartet, der unendliches Leid über 44 Millionen Menschen bringt und zahlreiche Todesopfer auf beiden Seiten fordert. Angesichts dessen ist jede wirtschaftliche Überlegung absolut zweitrangig. Zusammenarbeit und Kooperationen mit russischen Unternehmen oder Organisationen, auch wenn sie noch so lukrativ wären, kommen für uns derzeit nicht in Frage.
Ulrich Müller (clavis Kommunikationsberatung)
Ich finde es großartig, dass sich so viele Länder, Menschen und Unternehmen mit den Betroffenen in der Ukraine solidarisieren. Vielleicht auch, weil sie alle die Gefahr nicht gesehen haben oder sehen wollten, die von dem autokratischen System in Russland ausgeht. Das war nämlich der größte Schock für mich: Dass Krieg oder Frieden von der Entscheidung einer einzelnen Person abhängig sind. Solidarität ist jetzt gut und notwendig, aber Prävention wäre besser gewesen. Vielleicht kann die PR-Branche ihren Beitrag leisten, dass möglichst viele Staaten und Unternehmen auf den worst case vorbereitet sind. Wie man sieht, tritt dieser schneller ein als man denkt.
Gemeinsames Statement von Peter Hörschinger, Susanne Hudelist, Maria Wedenig, Andreas Windischbauer, Mick Weinberger, Martin Dechant (ikp)
Uns alle erschüttern die Entwicklungen und die damit verbundenen Bilder aus der Ukraine. Putins Russland stellt sich mit diesem Angriff auf die Ukraine und dem damit verbundenen Bruch des Völkerrechts selbst außerhalb der internationalen Staatengemeinschaft. Für uns als Agentur ergeben sich daraus keine konkreten oder direkten Konsequenzen, da wir weder zu russischen noch ukrainischen Unternehmen aktuelle Geschäftsbeziehungen unterhalten. Für die Branche steht einmal mehr das in weiten Teilen der Bevölkerung ohnehin nicht besonders gute Image der PR, nämlich im politischen Kontext schlicht Propaganda zu sein, auf dem Prüfstand. Aus unserer Sicht kann und soll verantwortungsvolle PR gerade in solchen Krisen einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass durch diesen Krieg die Gräben zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft nicht noch tiefer werden.
Michael Obermeyr (Reichl und Partner)
Fakt ist, dass das europäische Modell von Demokratie, Menschenrechten, Freiheit und Selbstbestimmung auf der Welt einzigartig und für Menschen außerhalb Europas attraktiv ist. Dies beweisen die vielen jungen Menschen, die für den Schutz dieser Werte unvorstellbare Risiken auf sich nehmen.
Unter der Prämisse, dass diese Werte für Europa nicht verhandelbar sind, sollten die zwischenmenschlichen Gespräche erhalten bleiben. Denn letztlich muss man irgendwann wieder miteinander sprechen – auch wenn es derzeit nicht so aussieht. Mit Unternehmen und Organisationen, bei denen anzunehmen ist, dass dort Menschen unfrei agieren, sollte tunlichst der Kontakt hinterfragt werden. Für PR-Agenturen bedeutet dies eine klare Linie, insbesondere da Russland und Europa gänzlich unterschiedliche Interessen haben. Zudem hat Russland in den letzten Jahren sowohl durch offene als auch versteckte Propaganda starken Druck auf die europäischen Länder ausgeübt. Das Vertrauen ist damit weg und Europa wird den Umgang mit Russland neu definieren müssen.
Die Kunden von REICHLUNDPARTNER Public Relations sind derzeit in einer Orientierungsphase, wie auch die Vertreter der Politik. Wie es weitergeht in Europa lässt sich derzeit nicht vorhersagen.
Saskia Wallner (Ketchum Publico)
Hat der Krieg in der Ukraine konkrete Auswirkungen auf Ihren Geschäftsalltag?
Wir erleben bisher keine geschäftlichen Auswirkungen, da unser Kundenportfolio in Österreich keinen Russland-Bezug hat.
Welche Folgen wird der Krieg in der Ukraine für die PR-Branche haben?
Die Situation zeigt einmal mehr und so dramatisch wie noch nie, welch hohes Gut professionelle, aufrichtige und ethisch korrekte Kommunikation ist. Propaganda, das Abschaffen von freien Medien, gezielte Falschinformation – das alles ist und sollte der tiefsten und dunkelsten Vergangenheit angehören. Bei Ketchum haben wir den Anspruch eine „Force for Good“ zu sein und „work that matters“ zu machen. Ich hätte nie gedacht, wie ungeahnt relevant und zutreffend diese Prinzipien auf einmal sein würden.
Sollte die PR-Branche auf den Krieg reagieren – und wenn ja, wie? Unsere Türen sind offen für Branchen-Kolleg:innen aus der Ukraine, die fachlich und sprachlich bei uns einen Beitrag leisten können. Ob und welche Assignments von russischen Unternehmen und Organisationen künftig vertretbar sind, ist meines Erachtens nicht pauschal zu beantworten. Wenn es gelingt, durch Kommunikation eine positive Veränderung herbeizuführen, eben eine „Force for Good“ zu sein, dann sollte das nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Aber in Anbetracht der aktuellen Situation ist das wohl leider eine Illusion.
Ketchum ist in Russland mit einem starken lokalen Unternehmer als Eigentümer präsent und versucht trotz der fürchterlichen Entwicklungen, die lokalen und internationalen Kunden so gut wie möglich weiter zu servicieren. Das Team dort ist ebenso schockiert wie die ganze Welt.
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