Im Interview mit O.VATION gibt Viviane Shklarek – Head of Consumer Experience und Mitglied der Geschäftsleitung bei Philip Morris Austria – Einblicke in ihren Kampf gegen Long-Covid und die Möglichkeiten der beruflichen Wiedereingliederung.
Wie hast du den Start des ersten Coronabedingten Lockdown am 16. März 2020 erlebt?
Als der Lockdown verkündet wurde, waren wir bei Philip Morris gerade in den finalen Vorbereitungen für den größten Produktlaunch unserer Unternehmens-geschichte. Das war in Hinblick auf zwei Aspekte sehr herausfordernd: Einerseits für die Businessseite, da wir die meisten unserer Pläne völlig neu denken mussten – und andererseits für die Mitarbeiter:innenführung, da die Belegschaft naturgemäß verunsichert oder teilweise selbst betroffen war. Wir haben es aber zum Glück sehr gut hinbekommen – auch dank unserer sehr starken Unternehmenskultur.
Wurde der erwähnte Produktlaunch folglich verschoben?
Nein, den Launch haben wir sehr erfolgreich im April 2020 durchgeführt – auch indem wir sehr rasch neue Ways of Working etabliert hatten. Unser Managing Director hat früh von dem New Normal gesprochen. Damals wussten wir aber nicht, ob das nun wirklich ein New Normal oder nur eine sechsmonatige Phase ist. Ich glaube, diese Ungewissheit, die man rückblickend ganz anders betrachtet, war die größte Challenge. Ein Business wie unseres lebt von Plänen, Strategien und Rahmenbedingungen, die wir vorhersagen können. Und in dem Fall war das nicht möglich.
Unvorhersehbar war auch, was Dir persönlich im darauffolgenden September widerfahren ist.
Im September bin ich wie immer zum Sport gegangen. Ein paar Tage später habe ich eine E-Mail bekommen, in der stand, dass eine der Trainerinnen positiv getestet wurde und man sich testen lassen solle. Am nächsten Morgen wachte ich mit 38,5 Grad Fieber auf. Da dachte ich mir schon, dass das kein Zufall sein kann – und tatsächlich erhielt ich wenig später das positive Ergebnis. Ich blieb vorerst zehn Tage im Krankenstand. Da man ohnehin von zu Hause arbeiten musste, konnte ich mich anschließend langsam wieder in die Arbeit eingrooven. Zusätzlich ließ ich mich von einer Internistin durchchecken, weil ich sportlich sehr ambitioniert bin. Sie meinte, dass meine Werte in Ordnung seien und ich langsam wieder mit Sport beginnen könne.
Etwas langsam anzugehen, liegt allerdings nicht in meiner Natur. Daher widmete ich mich wieder zu schnell sowohl der Arbeit als auch dem Sport. Schon nach ein paar Tagen merkte ich dann aber, dass etwas nicht stimmte – von Kopfschmerzen bis Sodbrennen hatte ich plötzlich alle möglichen Symptome. An einem Tag hatte ich 40 Grad Fieber, am nächsten Tag war wieder alles in Ordnung. Mir war abwechselnd heiß und kalt, ich hatte Brain Fog und konnte mich nicht konzentrieren.
Natürlich bin ich daraufhin von einem Arzt zum nächsten gelaufen. Sie alle versicherten mir, dass ich gesund sei. Meine Blutwerte waren in Ordnung und alle weiteren physischen Untersuchungen okay – allein mein Zustand hat sich weiterhin verschlechtert. Da ich diesen nicht deuten konnte, schenkte ich ihm auch keinen Glauben. Schließlich bin ich doch sportlich, gesund und jung. Langsam begann ich zu vermuten, dass ich vielleicht kurz vor einem Burnout stünde. Vielleicht bräuchte ich einfach nur Urlaub und Sonne. Aber nichts half.
Während eines Business-Calls dachte ich auf einmal, dass sich meine Augen von selbst schließen würden. Nichts ging mehr. Gleich danach ließ ich mich krank-schreiben. Zum Glück bekam ich relativ rasch – innerhalb von ein paar Tagen – einen Termin bei einer Koryphäe für Long-Covid oder jegliche andere chronische Erschöpfungskrankheiten, Dr. Stingl. Er meinte schnell, dass all meine Symptome sehr nach Long-Covid klingen würden und ich mich – vereinfacht gesagt – dringend ausruhen solle. Bei Long-Covid gilt das Prinzip Pacing als das A und O. Das bedeutet, dass man große Aufgaben in kleine Pakete aufteilen und viele Pausen machen soll. Wenn ich das früher gemacht hätte und mich nicht gleich wieder in lange Arbeitstage und jeden Tag Sport geworfen hätte, wäre der Verlauf vielleicht milder gewesen.
Das heißt eigentlich ist Long-Covid ein typisches Problem für Leistungsträger:innen, die sich zu schnell wieder in die Arbeit stürzen, obwohl sie noch Ruhe benötigen würden?
Wichtig ist zu betonen, dass die Medizin nach wie vor nicht die genaue Ursache von Long-Covid kennt. In verschiedenen Artikeln habe ich gelesen, dass junge, sehr beschäftigte Frauen zwischen 25 und 45 häufiger betroffen seien als andere. Also hat die Leistungspflicht vermutlich etwas damit zu tun. Im Endeffekt war ich anderthalb Jahre im Krankenstand und das Schlimmste dabei war wieder die Ungewissheit. Es gibt über 300 Symptome und jeder Person hilft etwas anderes. Deswegen ist das Wichtigste: Ausprobieren, ausprobieren, ausprobieren und Vertrauen haben – in sich selbst und in die Heilung. Bei mir waren diese anderthalb Jahre sehr zyklisch. Während der besseren Zeiten konnte ich mich selbst versorgen und mir selbst etwas zu Essen machen. Während der schlimmsten Zeit war ich bettlägerig und konnte mich gerade mal duschen und auf die Toilette gehen.
Wie wichtig war für Dich in dieser Zeit die Unterstützung Deines Arbeitgebers?
Immens, da ich von einem auf den anderen Tag ausgefallen bin. Hinzukam, dass ich ein Team hatte, das plötzlich führungslos war. Zum Glück waren Kolleg:innen zur Stelle, die das die ersten Wochen großartig managen konnten. Irgendwann musste mein Chef, unser Managing Director, dann aber entscheiden, wie es weitergeht. Es war nicht abzusehen, wann ich wieder zurückkommen würde – und so wurde mein Team entsprechend aufgeteilt. Mir wurde seitens meines Arbeitgebers stets kommuniziert, dass ich mir keine Sorgen machen müsse und mich auf meine Heilung konzentrieren solle. Zu wissen, dass ich mir mich zumindest um meine Existenz keine Sorgen machen muss, war unheimlich wertvoll.
Wenn jemand so lange im Krankenstand ist, können sich das nicht alle Firmen leisten. Gerade deshalb war es großartig, wie mit dieser Situation umgegangen wurde. Das Tempo musste ich vorgeben, indem ich etwa sagte, dass ich wieder ein bisschen Kraft zum Telefonieren hätte, entweder mit meinem Chef oder der damaligen Personalverantwortlichen. Diese Personen hatten mir enorm geholfen.
Wie sah folglich Deine Wiedereingliederung ins Arbeitsleben aus?
Als ich darüber nachdachte, wieder arbeiten zu gehen, schlug mir meine damalige HR-Chefin Fit2Work vor. Das ist ein Arm der ÖGK, die auf längere Krankenstände spezialisiert ist. Die Initiative hilft den Arbeitnehmer:innen, wenn diese Unterstützung beim behutsamen Rückeinstieg in die Arbeitswelt benötigen. Dafür gibt es verschiedenste Modelle, die auf Teilzeit basieren. Wir einigten uns darauf, in meinem Fall den maximalen Zeitraum und die behutsamste Eingliederung zu wählen: Ein Prozess über sechs Monate, beginnend mit Teilzeit von zwölf Stunden pro Woche für das erste und zweite Monat. Im dritten und vierten Monat stockten wir auf 20 Stunden auf und in den letzten beiden Monaten erhöhten wir auf 28 Stunden.
Ich begann also erst nach sechs Monaten wieder mit der Vollzeit-Arbeit. Wir vereinbarten, dass ich, solange ich mich nicht zu 100 Prozent fit fühle, keine Verantwortung tragen werde. Ich musste erst wieder lernen, eine Unterhaltung zu führen, da ich nach einem 30-minütigen Gespräch schweißgebadet war. Ich lag schließlich monatelang im Bett, ohne wirklich eine Konversation zu führen. Daher bestand mein Auftrag zuerst einmal nur darin, wieder ins normale Arbeitsleben zurückzufinden, Informationen zu verarbeiten und Zusammenhänge herzustellen. Zuerst übernahm ich eine interne Consulting-Rolle ohne weitere Funktion. Ich war Teil der Geschäftsleitung, durfte allen Meetings beiwohnen, beschränkte mich jedoch auf die Beratung auf Basis meiner Erfahrung. Diese Wiedereingliederung, aber auch die sehr behutsame Übernahme von Verantwortung war für mich unheimlich wichtig. Am Anfang meditierte ich oft zwischen den Meetings, drehte mich mit meinem Stuhl zum Fenster und mit dem Rücken zur Tür. Die Kolleg:innen und mein Chef akzeptierten das ohne Wenn und Aber, wofür ich ihnen sehr dankbar bin.
Seit Ende letzten Jahres besetzt Du eine neue Rolle bei Philip Morris Austria.
Gegen Ende meiner Wiedereingliederung ergab sich durch verschiedenste Bewegungen in der Organisation die Möglichkeit, eine neue Funktion zu übernehmen, während meine bisherige Marketing & Communication-Funktion bereits in sehr guten Händen war. Mit November 2022 übernahm ich schließlich die Abteilung Consumer Experience.
Wie kann man sich das vorstellen, gemeinsam mit den Kund:innen neue Produkte zu entwickeln?
Consumer Experience hat zwei große Aufgaben im Unternehmen. Einerseits, die Stimme der erwachsenen Konsument:innen im Unternehmen darzustellen und andererseits auf Basis von Daten die Strategien für das Unternehmen zu festigen. Das bedeutet, wir sind der Anfang jeder kommerziellen Aktivität, indem wir Daten sammeln, analysieren und daraus kohärente Handlungssempfehlungen definieren. Gemeinsam mit den Abteilungen Marketing oder Commercial Operations entscheiden wir daraufhin, welche Aktivitäten gesetzt werden. Das Wie, also die Umsetzung, obliegt den Abteilungen selbst. Ein weiteres Kernstück unserer Abteilung ist die sogenannte Consumer Journey. Diese beschreibt das Verhältnis unserer erwachsenen Konsument:innen zu unseren rauchfreien Produkten und mündet in der entscheidenden Frage, was die erwachsenen Konsument:innen dazu ermutigt, weiter in unserer Consumer Journey fortzufahren.
Wie gestaltet sich in Deiner Arbeit das Verhältnis zwischen quantitativen und qualitativen Inhalten?
Ich bin der Meinung, dass ein Mix aus quantitativen und qualitativen Inhalten entscheidend ist. Man benötigt die qualitativen Insights, um die quantitativen Daten zu interpretieren. Die Consumer Experience ist vor allem dazu da, die richtigen Fragen zu stellen. Die Zahlen und Fakten allein reichen nicht aus – man muss auch das Warum verstehen. Aktuell stehen wir vor der Herausforderung, dass es noch nicht genug Aufklärung rund um die Unterschiede von verschiedenen rauchfreien Alternativen gibt. Diese Aufklärungsarbeit in Richtung unserer erwachsenen Konsument:innen zu leisten, ist eine Priorität. Denn nur mit genügend Wissen können erwachsene Konsument:innen entscheiden, was die für sie beste Alternative sein könnte.
Dabei agieren primär Trafikant:innen als Kommunikator:innen?
Genau, wir haben ja keinen anderen Weg mit den erwachsenen Raucher:innen direkt in Kontakt zu treten. Das birgt aber auch eine tolle Möglichkeit, da in der österreichischen Kultur die Trafikant:innen als Vertrauenspersonen für die erwachsenen Konsument:innen gelten. Sie sind die erste Anlaufstelle, wenn es um den Verkauf und die Beratung von Tabak- und Nikotinprodukten geht.
Was würdest Du Menschen mit auf den Weg geben wollen, die selbst am Weg der Genesung sind?
Rückblickend war das Prinzip des Pacings ein Teil meines Heilungsprozesses. Mir persönlich hat die einfache, aber starke Überzeugung geholfen, dass ich das schaffen würde. Darüber hinaus war die alternative Greenberg-Methode enorm förderlich. Diese lehrt dir Schmerz sowie Schwäche zuzulassen. Hintergrund ist, dass der Körper dazu gemacht ist, sich selbst zu heilen – und so erkannte ich das Loslassen als Möglichkeit, wieder gesund zu werden. Balance zwischen nach wie vor zielstrebig zu sein und Ziele zu erreichen, aber ebenso anzuerkennen, dass man auch in schwachen Momenten entlang des Weges seine Ziele erreichen kann, versuche ich jetzt dauerhaft beizubehalten.
Ich finde es toll, dass du dieses Zulassen als einen ganz zentralen Teil der Selbstheilung so offen kommunizierst. Das kann anderen helfen und sie motivieren, die in einer ähnlichen Situation unsicher sind.
Ich bin generell ein sehr positiver Mensch und begleitete meine Mutter lange bei ihrem Kampf gegen Brustkrebs. Als es mit ihr langsam zu Ende ging, gründete ich eine Charity-Initiative namens Think Pink!, die darauf abzielt, das Brustbewusstsein bei jüngeren Frauen zu stärken.
Vielen Dank für das Gespräch.
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